Herz des Bahnhofsviertels: Die Frankfurter Niddastraße
Kunstgalerien, Hotels, Kleinhandel, Cafés – die Niddastraße ist geprägt von ihrer Geschäftigkeit. Genau das macht die Straße zu einem so faszinierenden Ort. Die Uhren drehen sich hier schnell, und das bereits seit Jahrzehnten.
Der Ursprung des rapiden Tempos der Straße findet sich in der Gründerzeit, oder genauer am 18. August im Jahr 1888. An diesem Tag wurde der “Centralbahnhof Frankfurt” eröffnet. Die erste Fahrt vom zu jener Zeit größten Bahnhof Europas aus führte am frühen Morgen nach Hamburg. Zuvor war die Errichtung des Bahnhofs ein über rund fünf Jahre hinweg laufendes Großprojekt gewesen. Zur gleichen Zeit wurde das Bahnhofsviertel parzelliert und infolgedessen wurden die noch heute vorhandenen Straßenzüge festgelegt. Es folgte die Errichtung zahlreicher Wohn- und Gewerbebauten, wodurch sich die Niddastraße zügig verdichtete. Während des Zweiten Weltkriegs fanden vom Bahnhof ausgehend Deportationen deutscher Juden statt. Die Geschichten von mehr als 12.000 aus Frankfurt deportierten Menschen dokumentiert das Online-Projekt Shoah Memorial Frankfurt des Jüdischen Museum Frankfurt. Bei einem Fliegerangriff wurden 1944 die meisten Häuser der Straße zerstört. In der Nachkriegszeit siedelten viele Rauchwarenhändler aus dem Handelszentrum Leipzig nach Frankfurt über. Händler erhielten Vergünstigungen, um die Stadt als wirtschaftliches Drehkreuz in einer Liga mit europäischen Metropolen zu etablieren. Der Handel mit Pelzen bestimmte in den darauffolgenden Jahrzehnten das Straßenbild der Niddastraße. Heute erinnern wenige noch existierende Geschäfte sowie Schriftzüge an Hausfassaden an diesen Abschnitt der Vergangenheit. Was ist seitdem passiert?
Aus historischer Sicht steht fest: Austausch war in der Niddastraße schon immer ein Motor mit positiven und negativen Folgen. Der Pelzhandel ist in Zentraleuropa seit den Achtzigerjahren durch veränderte Lebensstile sowie Tierrechts- und Umweltaktivismus so stark zurückgegangen, dass sich der Handel in diesem Bereich nun auf den Export nach Asien konzentriert. Dieser Wandel spiegelt sich in der Straße wider. Dort, wo noch vor dreißig Jahren Mäntel auf Kleiderstangen über den Gehweg gerollt wurden und sich die Rauchwarenhändler untereinander zum Beginn eines Arbeitstages grüßten, sieht es heute anders aus. Politischer und gesellschaftlicher Wandel kann auf der kleinsten Ebene anhand eines einzelnen Lebens in einer Straße nachvollzogen werden. Die Mentalität eines Ortes verändert sich durch Ereignisse und Entwicklungen, und die Menschen, die sich an diesem Ort aufhalten, verändern wiederum sich und ihn ebenso. Der Wegfall vieler Rauchwarenhandlungen in der Niddastraße hat Räume entstehen lassen, die zum Teil von anderem Gewerbe gefüllt wurden.
Es entstand Platz für Neues, beispielsweise für eine kleine Kunstszene oder das Gastronomie-, Hotel- und Bargeschehen, das nun an dieser Stelle aufgebaut werden konnte. Gäste schätzen die Niddastraße und ihre Menschen für ihre Ehrlichkeit. Deals werden hier nur selten hinter verschlossenen Türen durchgeführt. Die Ehrlichkeit der Straße kann teilweise auch in Grobheit umschlagen – zum Leidwesen der Personen, die hier mehr Gemeinschaft etablieren möchten. Die Drogenszene in der Straße wird als potenzielle Gewaltquelle und geschäftsgefährdend wahrgenommen und von vielen wird sich mehr Unterstützung von der städtischen Politik gewünscht. Die bestehenden Maßnahmen reichen nicht aus, um dem mulmigen Gefühl beim Gang durch manche Abschnitte der Straße (insbesondere als weiblich gelesener Mensch) entgegenzuwirken. Aber es werden auch aktiv Lösungen für Probleme gesucht. So hat die Stadt Frankfurt ein Koordinierungsbüro Bahnhofsviertel in der Kaiserstraße angesiedelt und die Erweiterung des “Frankfurter Wegs” beschlossen. Unabhängig davon gibt es Initiativen wie den Verein Synnika und privates Engagement wie jenes der BarShuka-Betreiber David und James Ardinast, die seit 2010 die Frankfurter Gastroszene beleben.
Im Caffeppuccino wird bereits seit 1994 Kaffee serviert. Das Café ist nur eine der vielen gastronomischen Institutionen in der Niddastraße.
Wer das Treiben in der Niddastraße selbst miterleben möchte, der kann seinen Tag morgens ab 8:30 Uhr mit einem italienischen Kaffee im Caffeppuccino starten. Streng genommen liegt das Café nicht in der Niddastraße, aber für den italienischen Flair lohnen sich ein paar Schritte um die Ecke in die Ludwigstraße. Das Caffeppuccino wird seit 1994 von Guido de Luca und seiner Familie betrieben. Die Eltern von de Luca zogen 1972 von Neapel nach Frankfurt und waren für die Post tätig, von der heute in der Niddastraße nur noch das prägnante Backsteingebäude des Posthofs aus der Gründerzeit übrig geblieben ist. “In den Siebzigerjahren kamen die Menschen zum Einkaufen von Pelzen oder für Kinobesuche in die Niddastraße”, erzählt de Luca bei einem Gespräch. Er habe hier als Jugendlicher seine ersten Filme von Sergio Leone und Spike Lee gesehen. Der Cafébetreiber hat seine Jugend in der Niddastraße verbracht, die Veränderungen in den letzten vierzig Jahren miterlebt und kennt das Viertel so gut wie nur wenige. Als er Anfang der Neunzigerjahre für einen Verein auf der Suche nach Räumlichkeiten war, fand er jene, in denen sich kurz darauf das Caffeppuccino entwickelte. Seit einigen Jahren wird auch ein täglich wechselnder Mittagstisch angeboten, alternativ empfiehlt sich als Mittagssnack ein üppig belegter Bagel im Café 19zehn, inklusive einem netten Gespräch mit der Inhabern Ceyda. Eine kulinarische Institution des Bahnhofsviertels ist die Pizzeria 7 Bello. Je besser die Laune ist, die man mitbringt, desto günstiger kann man hier essen. Neben der Pizza ist auch die Pasta empfehlenswert.
Kunstinteressierte finden in der Niddastraße die Galerien Bernhard Knaus Fine Art, Kai Middendorff und Schierke Seinecke, die regelmäßig Ausstellungen internationaler Künstler*innen und Events organisieren. Zusammengefasst gibt es in der Niddastraße viel zu entdecken. Hier kommen jeden Tag unzählige unterschiedliche Ideen, Sprachen und Lebensrealitäten zusammen. Das hat zum einen mit der langen Historie des Handels rund um den Hauptbahnhof und zum anderen mit individuellen Familiengeschichten zu tun. Die letzten Jahrzehnte mitsamt den kürzlichen Pandemiejahren haben die Niddastraße verändert. Gespräche mit Bewohnern und Menschen, die die Straße gut kennen, zeigen, dass die Veränderung hier die größte Konstante ist.